Shall we dance?

Wann bin ich gut genug, um mich auf den Social Dance Floor zu wagen?

Saisonabschluss mit Swingwagon 2017
© Markus Nussig

Kurze Antwort: Immer
Lange Antwort: 

Socials, Tanzveranstaltungen, die dem sozialen Austausch in der Community dienen und zum Tanz mit möglichst vielen verschiedenen Partner:innen gedacht sind, haben keine Voraussetzungen, wenn es darum geht, wie gut man sein sollte. 

Nicht wenige haben den Swing-Tanz entdeckt, weil sie rein zufällig an einem Social vorbeigekommen und geblieben sind, um zuzusehen. In vielen Fällen bieten Socials auch Schnupperkurse für jene, die bisher noch nie zu Swing-Musik getanzt haben, an. Socials richten sich also nicht nur an erfahrene Tänzer:innen, sondern auch an Interessierte, die noch über keinerlei Vorkenntnisse verfügen und Tänze wie den Lindy Hop einfach einmal ausprobieren wollen. 

Während es in Kursen und bei Trainings-Sessions vor allem um das Erlernen und Vertiefen konkreter Figuren und technischer Aspekte geht – und dementsprechend Zeit für Feedback und Wiederholung gegeben ist –, geht es beim Social vor allem um die Freude am Tanz. Wenn eine Figur im Kurs noch nicht so ganz funktioniert, kann man unterbrechen, die Bewegungsabläufe analysieren, Fehler beheben und von vorne beginnen. Klappt eine Figur auf dem Social Dance Floor nicht, geht man einfach darüber hinweg und macht weiter. Das bedeutet aber nicht, dass man hier keine Erfahrungen sammeln oder nichts lernen könnte.

Minor Swing 2024
© Rocio Escabosa

Sich von misslungenen Figuren nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, sich weiter im Rhythmus zu bewegen, auch wenn man sich nicht ganz sicher ist, was der Lead von einem will, oder den Follow in neue, vielleicht auch unbekannte Figuren zu führen, sind Fähigkeiten, die wir fast ausschließlich auf dem Social Dance Floor erwerben. Hier haben wir Gelegenheit, neue Moves oder Footwork Variations, die wir gerade erst erlernt haben, unter echten Bedingungen zu testen. Einen neuen Move zu meistern, wenn beide Partner:innen wissen, was als nächstes kommt, ist eine Sache. Denselben Move gekonnt zu führen/folgen, wenn wir oder unser:e Partner:in nicht wissen, was als nächstes kommt, ist etwas völlig anderes. Aber genau das ist es, was wir lernen wollen. 
In regelmäßigen Kursen und auf Workshops lernen wir nicht, um nach genau vorgegebenen Abläufen zu einem späteren Zeitpunkt eine Prüfung zu absolvieren oder uns mit anderen in einem Wettkampf zu messen – wir lernen all diese Figuren und Techniken, um mehr aus jedem einzelnen Tanz herauszuholen, um uns besser auf wechselnde Partner:innen einzustellen, um spontaner auf die Musik reagieren zu können – kurz, um mehr Spaß auf dem Social Dance Floor zu haben. 

Selbst wenn wir irgendwann an Competitions teilnehmen wollen, müssen wir unsere Fertigkeiten im Social Dancing verbessern, anderenfalls haben wir keine Chance, es bei einer Mix & Match Competition je über die erste Runde hinaus zu schaffen.
Wer erfahrene Tänzer:innen fragt, was das Wichtigste beim Tanzen ist, wird häufig dieselbe Antwort bekommen: die Basics.

Je besser die Basics sitzen, desto einfacher ist es, neue Figuren oder Techniken zu erlernen. Beim Lindy Hop sind die Basics der Bounce, die Triple- und (Kick-)Steps, der Rhythmus, interne und externe Connection. Alles Dinge, die wir für jede Figur, ganz egal wie einfach oder komplex, brauchen.   

Und wie verbessern wir unsere Basics? Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung. 

Auch wenn es gelegentlich Aha-Momente gibt, in denen wir etwas, dessen Verständnis sich uns bisher entzogen hat, plötzlich begreifen, ist es in 98 Prozent der Fälle keine Frage des Verständnisses, sondern der Übung und damit in erster Linie eine Frage der Kilometer, die wir tanzend zurückgelegt haben. 

Socials geben uns die Gelegenheit, innerhalb kurzer Zeit jede Menge Kilometer zu machen – und das in entspannter Atmosphäre. Wir müssen nicht zu jedem Song tanzen, können uns zwischendurch ausrasten, ein wenig plaudern oder einfach zurücklehnen und anderen beim Tanzen zusehen, ehe wir uns wieder auf die Tanzfläche begeben. 

Je häufiger wir an Socials teilnehmen und dort von der Gelegenheit, uns auf unterschiedliche Partner:innen einzustellen, Gebrauch machen, desto schneller werden wir Fortschritte machen – und das gilt nicht nur für Tänzer:innen, die bereits Erfahrung haben – das gilt bereits ab dem ersten Schritt.  

Safety in Numbers

Minor Swing 2024
© Rocio Escabosa

Wer zwar regelmäßig an Kursen teilnimmt und dort auch Spaß hat, Socials aber bisher ferngeblieben ist, weil er oder sie sich das Tanzen in der Öffentlichkeit noch nicht so ganz zutraut, sollte sich bewusst machen, dass er oder sie bereits jetzt schon fast in der Öffentlichkeit tanzt. Auch im Kurs ist man nicht alleine. Im Kurs sind die Hemmungen meist geringer, weil man mit den anderen Kursteilnehmer:innen im selben Boot sitzt. Man lernt gemeinsam die gleichen Moves und arbeitet an derselben Technik. Das sollte man sich zu Nutze machen. Anstatt also vor dem nächsten Social zu zögern, weil man das Gefühl hat, noch nicht so weit zu sein, sollte man die Gelegenheit nutzen und einfach möglichst viele andere Kursteilnehmer:innen motivieren, auch zum Social zu gehen. 

Über den eigenen Schatten springen

Auch wenn man weiß, dass bei einem Social jeder willkommen ist, es keine Voraussetzungen für den Social Dance Floor gibt, und nicht jeder, der am nächsten Social teilnehmen wird, schon jahrelange Erfahrung hat, kostet es manche von uns dennoch einiges an Überwindung, sich zum ersten Social zu trauen und dort die Tanzfläche zu betreten. Zu groß ist die Angst vor einer Blamage, zu hoch die Ansprüche an die eigenen Fähigkeiten, um sie in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen. Wir sind nicht alle „natural born performers“, die vor einem Publikum zu Höchstleistungen auflaufen oder sich schlicht nicht darum kümmern, ob Zuschauer anwesend sind. 

Manche von uns wollen ihre Fähigkeiten erst auf ein gewisses Level bringen, ehe sie bereit sind, sich damit in die Öffentlichkeit zu wagen, wieder andere sind generell scheu und wollen sich keine Blöße geben. 

Solltet Ihr Euch hier wiedererkennen, lasst Euch Folgendes sagen: Ihr seid nicht allein! 

Nicht jede, die heute ausgelassen auf dem Social Dance Floor einen Tanz nach dem anderen genießt und kein Problem damit zu haben scheint, die Tanzfläche als erste zu betreten, zieht es von Natur aus ins Rampenlicht. Viele von uns mussten sich am Beginn ihrer Tanzkarriere erst überwinden und über den eigenen Schatten springen.
Die gute Nachricht: Mit der Zeit fällt es einem leichter. Und das gilt nicht nur fürs Tanzen. Nach den ersten paar verpatzen Figuren wird man schnell feststellen, dass es egal ist, mehr noch, dass es den meisten anderen Anwesenden nicht einmal auffällt. Und wie mit allen anderen Dingen im Leben verhält es sich auch mit dem Tanzen in der Öffentlichkeit: Je häufiger man es macht, desto leichter fällt es einem.
 
Wer sich am Anfang aus dem geschützten Raum des Kurses als eine:r von vielen Tänzern:innen auf den Social Dance Floor wagt, wird bald feststellen, dass man mit der Zeit immer weniger andere Tänzer:innen um sich herum braucht, um mögliche Zuseher ignorieren und den Tanz einfach genießen zu können. Bis man sich eines Tages in Begleitung eines anderen Tänzers in einer Bar oder auf der Straße findet, einen Swing Song hört und einfach zu tanzen beginnt, weil es einen in den Füßen juckt. Zuschauer? Egal, das sind nur Menschen, die zufällig zur selben Zeit am selben Ort sind. 

 
Marcos & Christiane NSB 2018

November Swing Break 2018
© Lina Dengg

Und wer keine Hemmungen mehr hat, vor einer Gruppe völlig Fremder zu tanzen, wird bald feststellen, dass auch andere Hemmungen im Zusammenhang mit kleineren oder größeren Gruppen von Menschen fallen.
Eine Frage an die Gruppe? Eine kurze Durchsage vor Publikum, Ansprache, Vortrag, Diskussion? Kein Problem.
Aber nicht nur die Scheu vor der Öffentlichkeit wird mit der Zeit abnehmen. Beim Social Dancing lernen wir, auf andere zuzugehen, uns auf sie einzustellen, mit ihnen eine kurze Zeit tanzend zu verbringen und uns dann wieder zu verabschieden. Dabei können wir auch unsere sozialen Fähigkeiten schulen, das Aufeinander-Einstellen wird dabei nicht nur im Hinblick auf unseren Tanz besser, auch in anderen sozialen Kontexten können wir davon profitieren.
     

Swing, und vor allem Lindy Hop, bieten Raum für Spielereien und Improvisation und so mancher vermeintlich verpatzte Move kann zu einer neuen Entdeckung führen – das klappt aber nur, wenn wir es mit den Fehlern, die uns zwangsläufig unterlaufen, nicht so eng sehen.

Die Fähigkeit, über die eigenen Fehler oder die unserer Partner:innen hinwegzusehen, uns nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, einfach weiterzumachen und den Tanz auch dann zu genießen, wenn nicht alles zu 100 Prozent klappt, wird unsere Erfahrungen auf dem Social Dance Floor nicht nur für unsere Partner:innen, sondern auch für uns selbst angenehmer machen. Aber auch abseits der Tanzfläche unterlaufen uns und anderen ab und an Fehler, die keine relevanten Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Fähigkeit, sie anzuerkennen, ihnen aber nicht mehr Bedeutung beizumessen, als sie verdienen, kann unsere Erfahrungen auch in nicht-tänzerischen Situationen beeinflussen und uns zu besseren Freund:innen, Beziehungspartner:innen, Kolleg:innen oder Vorgesetzten machen.
  

Wir sehen also, Socials sind weit mehr, als nur eine Gelegenheit zu tanzen. Abgesehen von der Gelegenheit zur Übung, zum Socialising und der Chance auf einen netten Abend können die Erfahrungen, die wir dort sammeln, auch positive Auswirkungen auf unser restliches Leben haben. 

Sie machen uns

  • selbstbewusster
  • einfühlsamer
  • entspannter
 und helfen uns:
 
  • hinderliche Hemmungen abzulegen  
  • auf andere zuzugehen
  • interessante Menschen kennenzulernen
  • und kleinen Fehlern nicht mehr Gewicht beizumessen, als sie verdienen

Also: auf zum nächsten Social!

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